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Botschafter Martin Kotthaus über das Ende des Zweiten Weltkriegs vor 75 Jahren

Standbild Videobotschaft von Botschafter Kotthaus zum Ende des Zweiten Weltkriegs

Standbild Videobotschaft von Botschafter Kotthaus zum Ende des Zweiten Weltkriegs, © Deutsche Botschaft Brüssel

08.05.2020 - Artikel

Heute vor 75 Jahren endete der Zweite Weltkrieg in Europa. Millionen Tote und unendliches Leid waren das Ergebnis von Hass, Verblendung und Zerstörungswut, die von Deutschland ausgegangen war - zum zweiten Mal binnen weniger Jahrzehnte. Der Waffenstillstand, der am 8. Mai in Kraft trat, beendete zwar die Kriegshandlungen, aber zwischen den Völkern Europas waren tiefe Gräben gerissen worden. Der Schmerz wirkt in vielen Familien bewusst oder unbewusst bis heute nach. Das macht es so wichtig, gemeinsam zu gedenken; auch heute noch und über Landesgrenzen hinweg.

Seine Funktion als Scheidepunkt macht den 8. Mai, den Tag der Befreiung Europas und Deutschlands, zu einem besonderen Gedenktag. Er trägt gleichzeitig den Blick zurück und die Trauer um die unzähligen Toten in sich, wie auch den Blick nach vorne, den ersehnten Neuanfang und den Glauben an die Kraft der Versöhnung. Dieser Tag sollte Anlass sein, gemeinsam der Opfer von damals zu gedenken, ohne die daraus hervorgegangene zivilisatorische Leistung, die Europa seitdem in Frieden zusammenleben lässt, aus den Augen zu verlieren. Er sollte Anlass sein, einer friedlichen Zukunft weiter Gestalt zu geben, ohne die schmerzhaften Lehren der Vergangeneheit zu ignorieren.

Belgien ist geradezu exemplarisch für den Neuanfang im Herzen Europas, ohne das große Leid und die Opfer der Weltkriege zu vergessen. Gleich zwei Mal wurde Belgien in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts von Deutschland überfallen und dennoch hat Belgien mit als erstes Land nach dem Zweiten Weltkrieg Deutschland die Hand gereicht. Wie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seiner vielbeachteten Rede anlässlich des Gedenkens an den Beginn der Ardennenoffensive im Dezember letzten Jahres sagte: „Belgien hat uns seine Bereitschaft zur Versöhnung geschenkt. Sie haben uns den Weg geöffnet in ein friedliches Europa. Dafür sind wir Deutschen zutiefst dankbar.“

Die Bereitschaft zur Versöhnung machte aus Feinden Partner, und sogar Freunde. Heute arbeiten Deutschland und Belgien wirtschaftlich, politisch, kulturell und auch militärisch sehr eng zusammen.

Auf diesem Willen zur Versöhnung beruht das europäische Projekt. Vor dem Hintergrund zweier blutiger Weltkriege sieht man, welch bedeutende Leistung es ist, dass wir in Europa seit 75 Jahren in Frieden leben. Nicht nur an Gedenktagen wie diesem sollten wir alle uns vor Augen führen, dass das nicht selbstverständlich ist. Deutschland ist sich seiner großen Verantwortung bewusst und setzt sich weiter für ein geeintes und friedliches Europa ein.

Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte zu Ende gegangen, mit der Shoah als traurigem Symbol dafür, wozu der Mensch fähig ist. Das immens wichtige Weitertragen der Botschaft „Nie wieder!“ beruht in großem Maße auf Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die ihre Erfahrungen teilen, damit nachfolgende Generationen ihre ganz persönlichen Lehren daraus ziehen können.

Gerade ist ein weiterer dieser wichtigen Zeitzeugen von uns gegangen. Henri Kichka, der als Jugendlicher mehrere Konzentrationslager überlebt hat, wies in seinem späteren Leben eindringlich darauf hin, wie wichtig das Erinnern ist. Unermüdlich berichtete er als Zeitzeuge vielen jungen Menschen in Belgien von seinem Leidensweg, um eine Wiederholung der Geschichte unmöglich zu machen. Sein Sohn, Michel Kichka, schrieb anlässlich des Todes seines Vaters, ein kleines Coronavirus habe das geschafft, woran die gesamte Nazi-Armee gescheitert sei. Auf schmerzhafte Weise bringt uns sein Tod vor Augen, dass die Verantwortung dafür, die Erinnerung wachzuhalten, bei uns allen liegt.

Andererseits zeigt uns jenes winzige Coronavirus, wieviel wir in Europa in den vergangenen 75 Jahren gelernt haben: Wir können Krisen nur gemeinsam meistern. „Jeder für sich“ sollte der Vergangenheit angehören.


Der Artikel wurde auch auf der deutschsprachigen VRT-Webseite flanderninfo.be veröffentlicht.

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