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Rede des Botschafters anlässlich des 25-jährigen Jubiläums des Europa-Netzwerk Deutsch

17.10.2019 - Artikel

Lesen Sie hier die Rede des Botschafters der Bundesrepublik Deutschland beim Königreich Belgien, Herrn Martin Kotthaus, die er am 8. Oktober 2019 anlässlich des 25-jährigen Jubiläums des Europa-Netzwerk Deutsch gehalten hat.

25 Jahre Europa-Netzwerk Deutsch, aber auch und vielleicht vor allem 25 Jahre Margit Pfaender in Brüssel, in Europa und für die deutsche Sprache. Frau Pfaender uns ich kennen uns seit Jahren. Ich schätze ihre Arbeit sehr und weiß, dass sie wertgeschätzt wird. Noch letzte Woche kam ein Journalist auf mich und pries (hier schon mal ein schönes, zu selten genutztes deutsches Wort) die Sprachlernmöglichkeiten des Europa-Netzwerk Deutsch und des Goethe Instituts. Und Margit Pfaender ist dabei ein wichtiger Faktor von beachtlicher Hartnäckigkeit und Durchhaltevermögen. Man kann ihr nicht einfach etwas abschlagen.

Die Europäische Union ist die EU der noch 28 Mitgliedstaaten aber auch der 24 Mitgliedssprachen. Pro Jahr werden über eine Milliarde Euro für Übersetzungen ausgegeben. Und dennoch wird ein guter Teil der Texte nicht übersetzt.

Es gibt 90-105 Millionen deutsche Muttersprachler und weitere rund 30 Millionen, die Deutsch als regelmäßig benutzte Zweitsprache nutzen. Und: 289 Millionen Menschen haben irgendwann einmal Deutsch als Fremdsprache gelernt. Aktuell sind das 15,4 Millionen Menschen, die sich an der deutschen Sprache versuchen. Und da haben sie was zu lernen: Goethe benutzte 100.000 Wörter, im Duden stehen 145.000. Das Grimm’sche Wörterbuch hatte 450.000 gesammelt. Aber: der sogenannte Dudenkorpus, eine elektronische Datenbank, die seit 1995 existiert, ständig erweitert wird und bis jetzt etwa vier Milliarden Wortbeispiele umfasst, weist rund 23 Millionen deutsche Wörter in der Grundform aus. Die deutsche Sprache ist die Amtssprache in 6 Staaten und der EU und hat auf regionaler Ebene in Italien, Slowakei und Brasilien, sowie in Frankreich, Namibia, Polen, Paraguay, Dänemark einen besonderen Status. In der EU ist Deutsch die am häufigsten gesprochene Muttersprache.

Und damit kommen wir zu der Bedeutung von Sprache. Denn Sprache ist auch politisch. Dossiers können in der EU nicht beendet werden wegen Sprachfragen – ich erinnere hier nur an das europäische Patent. Welches Sprachregime ist eine wichtige Frage vor jeder Sitzung im Rat. In Präsidentschaft muss eine feinsinnige Balance zwischen Kosten und Sprachregimen gefunden werden, damit die Präsidentschaft funktioniert. Ratssitzungen können mangels Sprachenregime und somit an Sprachlosigkeit scheitern. Menschen können so aneinander vorbeireden. So entstehen Mißverständnisse, die Kompromisse unmöglich machen. Und die Einzigen die wirklich wisse, was bei einem ER besprochen wurde außer den im Raum Anwesenden, sind die Dolmetscher... und die schweigen. Ich möchte auch nicht wissen, wie oft Dolmetscher Konflikte abgemildert haben, in dem sie die Worte mäßigten. Wohl dem, der angesichts all dieser Fallstricke viele Sprachen und darunter natürlich Deutsch sprechen kann.

Sprache ist relevant, denn Sprache bedeutet und beinhaltet auch Kultur und Identität. Kein Denken ohne Sprache, keine Identität ohne Worte. Ob Englisch, Portugiesisch oder Kölsch: Sprache ist Teil von Kultur - und Kulturenvielfalt. Wörter, die deutsch-typisch und nur mühsam übersetzbar sind, da bei ihnen auch ein Teil Kultur und Identität mitschwingt sind beispielweise: Heimat, Gemütlich, Innerer Schweinehund, Zugzwang, Erklärungsnot oder Kuddelmuddel.

Von den heute weltweit 7000 bekannten, gesprochenen Sprachen ist mehr als die Hälfte vom Aussterben bedroht. Deutsch gehört eindeutig nicht dazu. Aber in der EU, in Brüssel sind bis auf Englisch und in gewissem Maße Französisch eigentlich alle anderen Sprachen ein wenig bedroht. Und nur so kann man die Freude bei der französischsprachigen Fedération Wallonie Bruxelles über den Brexit verstehen, da man dort hofft, dass die Sprache Molières danach wieder einen Siegeszug in Europa antreten wird. Wenn man sich da mal nicht täuscht.

Sprachkenntnisse und Übersetzungen sind auch für die Zivilgesellschaft relevant, denn Sprache, Herrschaft und Demokratie sind eng verquickt. Sprachwissenschaftler Kofi Yakpo erklärte beispielsweise für den Kontinent Afrika. „Wenn wir ein Land haben, in dem ausschließlich eine ehemalige Kolonialsprache verwendet wird, dann haben wir eine Situation, in der der Großteil der Bevölkerung vielleicht gar nicht wirklich partizipieren kann, gar nicht die Möglichkeit hat, sich selbst einzubringen, gerade auf der lokalen Ebene.“ Und das gilt in gewissem Maße auch für Brüssel und die EU. Ein Schafhirte in Griechenland, ein Bauer in Extremadura, ein Busunternehmer in Kiel oder ein Arbeitgeber in Hermannstadt muss in seiner Heimatsprache verstehen können, was von ihm verlangt wird und was er oder sie selber verlangen können.

Daher liegt uns Deutschen viel am Europanetzwerk. Darum feiern wir heute 25 Jahre. Darum hoffen wir uns auf die nächsten 25 Jahre! Und freuen uns über und mit Frau Pfaender! Danke!

Zum Abschluß möchte ich Ihnen Auszüge aus einem meiner Lieblingstexte nicht vorenthalten: Mark Twain, The Awful German Language, Die schreckliche deutsche Sprache:

Jedes Substantiv hat ein Geschlecht, und es gibt weder Sinn noch System in der Verteilung; deshalb muss man das Geschlecht jedes einzelnen Substantivs für sich auswendig lernen. Es gibt keine andere Möglichkeit. Will man das in Angriff nehmen, muss man ein Gedächtnis wie ein Memorialbuch haben. Im Deutschen hat eine junge Dame kein Geschlecht, eine Rübe aber schon. Man bedenke, welch übertriebene Ehrerbietung für eine Rübe erkennbar wird und welch gleichgültige Missachtung dem jungen Fräulein gegenüber. Schauen Sie selbst, wie das in gedruckter Form aussieht – ich übersetze aus einer Unterhaltung aus einem der besten deutschen Sonntagsschulbücher:

Gretchen: Wilhelm, wo ist die Rübe?

Wilhelm: Sie ist längst in der Küche.

Gretchen: Wo ist das schöne und gebildete englische Mädchen?

Wilhelm: Es ist in die Oper gegangen.

Dem bleibt nichts hinzuzufügen. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen noch einen schönen Abend!

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